Blick vom Piz Chavalatsch (2.763m) nach Südosten: Die höchste Erhebung halbrechts ist der Ortler, folgt man dem Grat nach links werden fachkundige Betrachter den Gipfel der Königsspitze
hinter dem Ortler hervorlugen sehen. Noch etwas weiter auf dem Bild nach links sind der Cevedale und die Zufallspitzen sehr schön zu erkennen.
Erstbesteigung und weitere frühe Expeditionen
Die große Höhe des Ortlers war trotz fehlenden Vermessungen schon früh bekannt, im Atlas Tyrolensis aus dem Jahr 1774, in dem der Berg erstmals auf einer Karte erscheint, ist er als „Ortles Spiz der
Höchste im ganzen Tyrol“ verzeichnet. Damit war er auch der höchste Berg der Donaumonarchie. 1804 reiste Erzherzog Johann von Österreich durch Tirol und sah den Ortler vom Reschenpass aus. Er beauftragte
daraufhin den Beamten Johannes Gebhard, die Erstbesteigung des Berges zu organisiere. Gebhard kam am 28. August 1804 in Sulden an und versprach den dortigen Bauern Geld für das Finden eines Weges
zum Gipfel. In seiner Begleitung waren die zwei erfahrenen Bergsteiger Johann Leitner und Johann Klausner aus dem Zillertal, die als Erstbesteiger ausgewählt worden waren. Am nächsten Tag wurde mit
der Erkundung des Weges begonnen, bis zum 13. September unternahmen die Männer vier weitere vergebliche Versuche, meist in der Nähe des heutigen Normalwegs. Der sechste Anlauf mit einem reisenden
Harfenisten, der sich als erfahrener Bergsteiger dargestellt hatte, aber als Scharlatan erwies, scheiterte nach drei Tagen. Mehrere andere Anwärter, die einen unseriösen Eindruck hinterließen, lehnte
Gebhard ab.
Am 26. September stellte sich Josef Pichler, genannt Pseyrer Josele, Gämsenjäger auf der Churburg in Schluderns, bei Gebhard vor. Er konnte durch das Angebot, nur im Erfolgsfall einen Lohn zu verlangen, Gebhards
Vertrauen gewinnen. Noch am selben Tag brach er mit Leitner und Klausner auf. Anders als bei den vorigen Versuchen führte Pichler die Gruppe nicht von Sulden aus auf den Berg, sondern zuerst nach Trafoi und am
nächsten Tag von dort aus auf den Unteren Ortlerferner. Ohne Kletterseil und Eispickel durchstiegen sie dann die Hinteren Wandlen. Ihre Route gilt heute als schwierig (II-III, 50° im Firn) und sehr gefährlich, wenngleich
der genaue Verlauf bisweilen angezweifelt wird. Sie wurde später nur noch selten wiederholt. Als Grund dafür, einen so schwierigen Anstieg zu wählen, wird vermutet, dass Josef Pichler als Gämsenjäger sich im
felsigen Gelände wohler fühlte und die für ihn ungewohnten Gletscherflächen zu meiden versuchte. Zwischen 10 und 11 Uhr vormittags erreichten Pichler, Klausner und Leitner den Gipfel, wo sie sich wegen heftigen
Windes und großer Kälte nur wenige Minuten aufhalten konnten. Nach dem Abstieg über denselben Weg kamen sie um 8 Uhr abends wieder in Trafoi an. Gebhard meldete am 1. Oktober Erzherzog Johann die Vollendung des „großen Werks“.
Der Erzherzog beauftragte daraufhin im Jahr 1805 Gebhard, eine erneute Besteigung des Ortlers zu organisieren und einen neuen Weg von Sulden aus zum Gipfel finden zu lassen. Wiederum unter der Leitung Josef
Pichlers, diesmal mit der Hilfe von Johann und Michael Hell aus Passeier und einem unbekannten Jäger aus Langtaufers, wurde in der Nähe der heutigen Hintergrathütte ein Unterstand errichtet. Zwischen Juli und
August bestiegen die vier Alpinisten den Ortler von hier aus zweimal über den „Hinteren Grat“. Dieser wird heute allgemein mit dem Hintergrat gleichgesetzt, vereinzelt wird aber auch vermutet, mit dem Hinteren
Grat könnte der heutige Hochjochgrat gemeint gewesen sein. Diese Besteigungen, während denen der Weg auch teilweise mit Seilen versichert wurde, um später auch Gebhard den Aufstieg zu ermöglichen, gelten aus
heutiger Sicht als herausragende alpinistische Leistungen. Da Schlechtwetter die Versicherungen wieder zerstörte und Gebhards Aufstieg vereitelte, zog sich dieser zeitweise nach Mals zurück. Dort erfuhr er,
dass die Ortlerbesteigungen von vielen Menschen massiv angezweifelt wurden. Für die nächsten, hauptsächlich zur Wiederherstellung des Weges durchgeführten, Besteigungen am 27. und 28. August gab er Pichler
daher eine große Fahne auf den Gipfel mit, die am 28. August auch tatsächlich von Mals aus erkannt werden konnte. Am 30. August konnte Gebhard schließlich, geführt von Pichler, in Begleitung des Stilfser Priesters
Rechenmacher selbst den Gipfel erreichen und somit die erste touristische Besteigung des Ortlers vermelden. Die Gruppe verbrachte zwei Stunden am Gipfel, die für wissenschaftliche Messungen und das Suchen eines
Ortes für eine geplante Steinpyramide genutzt wurden. Um alle restlichen Zweifel an den Besteigungen auszuräumen, organisierte Gebhard in den nächsten Tagen den Transport einer großen Menge brennbaren Materials
auf den Gipfel, das schließlich am Abend des 13. September entzündet wurde. Das Feuer brannte zwei Stunden und war bis ins 20 km entfernte Mals mit freiem Auge zu sehen. Wenige Tage später bestieg Gebhard den
Ortler abermals. Der Gipfel sollte in der Folge durch den Bau einer Hütte und eines dauerhaft versicherten Weges leichter zugänglich gemacht werden. Als 1805 infolge des Friedens von Pressburg Tirol und damit
der Ortler bis 1814 an Bayern fiel, waren diese Pläne vorerst obsolet. Der Ortler wurde daraufhin 21 Jahre lang nicht mehr bestiegen.
1826 verpflichtete ein alpinistisch unerfahrener Wiener Offizier namens Schebelka wiederum Josef Pichler als Führer. Da der Hintergrat zu dieser Zeit nicht begehbar war, wählte Pichler den Weg der Erstbesteigung
über die Hinteren Wandlen. Auch am 13. August 1834 wurde der Gipfel über diesen Anstieg erreicht: Peter Karl Thurwieser bestieg den Ortler abermals unter der Führung des mittlerweile 70 Jahre alten Josef Pichler,
der allerdings am Oberen Ortlerferner zurückblieb, und dreier weiterer Einheimischer.
Spätes 19. Jahrhundert
Nach Thurwiesers Besteigung 1834 blieb der Ortler in den folgenden 30 Jahren unbestiegen. Zwei Versuche, über eine neue Route durch die Stickle-Pleiß-Rinne nahe dem Pleißhorngrat den Gipfel zu erreichen, scheiterten.
Die meisten namhaften Alpinisten konzentrierten sich in dieser Zeit vornehmlich auf die Viertausender der Westalpen; der Misserfolg der wenigen Besteigungsversuche in dieser Zeit wird den fehlenden alpinistischen
Kenntnissen der einheimischen Führer zugeschrieben. 1864 kam der englische Bergsteiger Francis Fox Tuckett mit E.N. und H.E. Buxton und den zwei Schweizer Führern Christian Michel und Franz Biner in die
Ortler-Alpen. Nachdem sie unter anderem den Monte Confinale und die Königspitze bestiegen hatten, versuchten sie eine neue Route von Trafoi über die Hohe Eisrinne und erreichten den Gipfel des Ortlers
am 5. August 1864. Im September 1864 fand der Engländer Headlam den Weg von Trafoi über den heutigen Standort der Payerhütte. Ein Jahr später, am 7. Juli 1865, erreichten Johann August Edmund Mojsisovics
von Mojsvár und V. Reinstadler mit dem Führer Johann Pinggera diesen Weg erstmals von Sulden aus. Am 4. September desselben Jahres führte Pinggera Julius von Payer, der später die ersten genauen Karten des
Ortlers und seiner Umgebung zeichnete, in einer Variante dieses Weges zum Gipfel und fand dabei den leichtesten Anstieg. Dies war die erste Ersteigung auf dem heutigen Normalweg und mit dem Abstieg der
Seilschaft nach Trafoi auch die erste Überschreitung des Ortlers.
Der neue Weg über den Tabarettakamm wurde schnell populär, und der Ortler wurde immer häufiger bestiegen: während 1868 noch von 12 Besteigungen berichtet wurde, waren dies 1871 schon 51 und 1881 bereits 183.
1899 konnten bis zu 60 Besteiger pro Tag gezählt werden. 1875 wurde zu Erleichterung des Aufstiegs die erste Schutzhütte, die Payerhütte, errichtet. Mit der Berglhütte 1884, der als Bäckmannhütte bekannten
ursprünglichen Hintergrathütte 1892, der Tabarettahütte 1894 und der Hochjochhütte 1901 folgten weitere Unterkünfte. Mit den später zerstörten Schutzhütten Edelweißhütte (erbaut 1899) und Alpenrosenhütte
(erbaut 1910) im Trafoital gab es zwischenzeitlich sogar mehr Unterkünfte am Ortler als heute. Der Normalweg wurde 1888 mit Stahlseilen ausgebaut, um die Besteigung zu erleichtern. Der Meranerweg über den
Pleißhorngrat wurde 1910 auf Initiative des Tourismuspioniers Theodor Christomannos versichert. Zu dieser Blütezeit des Ortler-Alpinismus entstanden darüber hinaus in Sulden und Trafoi zahlreiche Hotels und
ein gut ausgebautes Bergführerwesen. Der Bergführerverband Sulden-Trafoi war bereits 1865 gegründet worden.
Theodor Harpprecht und sein Führer Peter Dangl entdeckten am 19. Juli 1872 den Weg über den Hintergrat wieder und erschlossen im Abstieg die Route über die Stickle-Pleiß-Rinne. Ein Jahr später, am 9. August
1873 fanden die beiden mit der Harpprecht-Rinne einen neuen Weg vom Suldenferner zum Hochjochgrat und gelangten über diesen zum Gipfel. Die durchgehende Begehung vom Hochjoch bis zum Gipfel, die bereits seit
1867 mehrfach versucht worden war, gelang jedoch erst Otto Schück mit Alois Pinggera und Peter Dangl am 15. Juni 1875. Damit war der vierte Weg zum Ortlergipfel gefunden, den Otto und Emil Zsigmondy 1881
erstmals führerlos begehen konnten. Otto Schück erschloss 1879 schließlich noch die nach ihm benannte, damals noch stark vereiste Rinne durch die Ostwand. Bei dieser Route handelte es sich ebenso wie bei
der 1878 von B. Minnigerode, Alois und Josef Pinggera durchstiegenen Südwestrinne um einen reinen Eis- und Firnanstieg, der fast ausschließlich mit Hilfe der damals üblichen Technik des Stufenschlagens
bewältigt wurde. Die britische Alpinistin Beatrice Tomasson durchstieg mit ihrem Führer Hans Sepp Pinggera 1898 erstmals die Südwestwand. Mit der Erstbegehung des Marltgrates durch O. Fischer, E. Matasek,
R.H. Schmitt und L. Friedmann am 22. August 1889 und des Rothböckgrates durch H. Rothböck, F. Pinggera und F. Angerer am 30. Juni 1904 waren alle großen Grate des Ortlers begangen. Der Rothböckgrat galt
daraufhin lange Zeit als schwierigste Route am Ortler.
20. Jahrhundert
Alle mit den damaligen Mitteln möglichen Wege waren Anfang des 20. Jahrhunderts durchstiegen. Während des Ersten Weltkriegs hatte der Ortler ausschließlich militärische Bedeutung. Der Alpinismus im üblichen
Sinn kam zum Erliegen, im Rahmen militärischer Operationen kam es jedoch zu Leistungen, die aus sportlicher Sicht bemerkenswert sind, wie etwa der Bewältigung des Normalwegs von der Payerhütte in 1:20 h.
Die 1200 Meter hohe Nordwand, die höchste Eiswand der Ostalpen, galt nach dem Krieg als letztes ungelöstes Problem am Ortler. Nach einem gescheiterten Versuch durch Willy Merkl und Willo Welzenbach gelang
am 22. Juni 1931 Hans Ertl und Franz Schmid in 17 Stunden die erste Durchsteigung. Daraufhin wurde die Nordwand bis 1956 nicht mehr begangen. 1963 fanden P. Holl und H. Witt eine neue Route durch die Nordwand,
die bis heute als eine der schwierigsten kombinierten Routen der Ostalpen gilt. Im selben Jahr gelang Dieter Drescher die erste Alleinbegehung der Ertlführe, am 22. Juli 1964 durchstiegen Reinhold und
Günther Messner direkt den damals noch bestehenden Hängegletscher der Nordwand.
Zwar wurden seit den 1930er Jahren mehrere Neutouren auch außerhalb der Nordwand begangen, wie etwa der Soldàweg (1934), die Nordnordwestwand (1935) oder der Südwestpfeiler, dessen Erstbegehung durch
Reinhold Messner, Hermann Magerer und Dietmar Oswald am 15. August 1976 filmisch dokumentiert wurde. Bei diesen Wegen handelte es sich jedoch um selten oder niemals wiederholte Touren. Die Alpinisten
des späten 20. Jahrhunderts suchten neue Herausforderungen am Ortler durch Winterbegehungen und Skibefahrungen. Nachdem der Normalweg bereits am 7. Januar 1880 durch R. v. Lendenfeld und Peter Dangl
seine erste Winterbegehung erfahren hatte, wurden nun auch die schwierigeren Routen bei winterlichen Verhältnissen begangen, so die Nordwand 1964, der Marltgrat 1965 und der Rothböckgrat 1966. Heini
Holzer befuhr 1971 die Schückrinne mit Skiern, 1975 gelang ihm auch die Abfahrt durch die Minnigeroderinne. K. Jeschke und M. Burtscher fuhren 1969 durch die Nordwand ab, wobei sie jedoch mehrmals
abseilen mussten, 1982 gelang Andreas Orgler die erste durchgehende Befahrung. 1986 glückte Kurt Walde der erste Start vom Ortlergipfel mit einem Gleitschirm, nachdem er über die Nordwand aufgestiegen
war. Heute ist die Erschließungstätigkeit am Ortler weitgehend zum Stillstand gekommen. Erstbegehungen neuer Routen finden praktisch nicht mehr statt, zuletzt fand Reinhold Messner, als er anlässlich
der 200-Jahr-Feiern der Erstbesteigung den Weg Josef Pichlers durch die Hinteren Wandlen wiederholen wollte, eine neue Variante zu diesem historischen Anstieg. Im selben Jahr wurde auch der lange Zeit
verfallene Meraner Weg saniert und neu versichert, sodass es heute mit diesem, dem Normalweg und dem Hintergrat drei häufiger begangene Routen gibt. (Quelle:
Wikipedia)